Friederike Kempner

Persönliche Vorbemerkung
Die als „Schlesische Nachtigall“ oder „Schlesischer Schwan“ verspottete Autorin Friederike Kempner errang zu Lebzeiten eine beachtliche Berühmtheit aufgrund ihrer unermüdlichen Produktion einfachster, schlichtester Reime zum universellen Themenbestand der Lyrik wie Liebe, Lust und Leidenschaft, Leben und Tod, Krieg, Frieden, Tugend, Ehre, mit zahllosen Anrufen von Bächlein, Blümelein, Röselein, Äugelein und so weiter... Einen kleinen, nicht repräsentativen Ausschnitt ihrer offensichtlich unfreiwilligen Komik habe ich ausgesucht. Doch mit teilweise widerstreitenden Gefühlen, denn diese Verseschmiedin aus dem 19. Jhd. war, so scheint mir, zwar eine verhinderte Poetin, deren oft verunglückte Verse zu erheblicher Heiterkeit der Leserschaft und mitunter treffend gelungenen Parodien geführt haben, aber sie war wohl auch eine reine Seele, deren soziales Engagement auf tief verwurzeltem Mitgefühl mit den Schwachen fußte. Und das möchte ich hier nicht unerwähnt lassen.
Friederike Kempner, geboren am 25.6.1828 in Opatow, Provinz Posen, gestorben am 23.2.1904 auf Gut Friederikenhof bei Reichthal in Schlesien, stammte aus einer reichen jüdischen Familie. Sie lebte nach ihrer Kindheit in Opatow mit ihren vier Geschwistern auf dem Rittergut Riemberg (polnisch Ryniec) in Droschkau (Schlesien). 1864 bezog sie ihr eigenes Gut Friederikenhof (polnisch Gierczyce), das zum Besitz der Familie gehörte. Beide Eltern starben 1868; besonders der Tod der Mutter war für Friederike Kempner ein traumatisches Ereignis, an das sie später in vielen Gedichten erinnerte. Die Schriftstellerin blieb zeitlebens unverheiratet.

Soziales Engagement
Neben ihren schriftstellerischen Arbeiten widmete sie sich zeitlebens der Krankenpflege und Armenfürsorge und setzte sich für eine Reform des Gefängniswesens ein. Ebenfalls erfolgreich kämpfte sie für die Errichtung von Leichenhäusern und die Verlängerung der Karenzzeit zwischen Tod und Bestattung, um das Problem des damals medizinisch manchmal nicht erkannten Scheintods zu lösen. Neben ihren philanthropischen und sozialreformerischen Aktivitäten schrieb Kempner Novellen, historische Trauerspiele und Gedichte.

Schriftstellerisches Werk
Friederike Kempner war eine produktive Autorin von Streitschriften, Novellen, Dramen und Gedichten. Ihre vorwiegend historischen Stoffen gewidmeten Dramen wurden zwar nur selten aufgeführt, fanden jedoch wie ihre Prosaschriften ihre Leser, blieben aber von der zeitgenössischen Literaturkritik weitgehend unbeachtet. Einzigartige Berühmtheit erlangte Friederike Kempner jedoch als Lyrikerin. Ihre Gedichte, zuerst erschienen 1873, lagen 1903 bereits in der achten Auflage vor. Zu diesem Zeitpunkt war sie von der Literaturkritik längst zur Großmeisterin der unfreiwilligen Komik erklärt und auf die Spottnamen „schlesische Nachtigall“ und „schlesischer Schwan“ getauft worden. Der Schriftsteller Paul Lindau hatte ihre Gedichte 1880 in der von ihm selbst herausgegebenen Wochenschrift „Die Gegenwart“ auf höchst ironische Weise vorgestellt und so ein breites Lesepublikum auf Kempners abenteuerliche Missgriffe bei Wortschöpfungen, Metaphern und Reimen hingewiesen (über Paris: „Ihr wißt wohl, wen ich meine | Die Stadt liegt an der Seine“).

Parodien
Bald nach Paul Lindaus Rezension erschienen erste Parodien auf Kempners Gedichte. Diese zahlreichen, oft täuschend echt geratenen Parodien haben seit spätestens der Mitte des 20 Jahrhunderts eine literaturgeschichtlich vielleicht einzigartige steile Karriere gemacht. Denn in zum Beispiel der von Herrmann Mostar herausgegebenen Ausgabe „Friederike Kempner, der schlesische Schwan“ (zuerst 1953), der von Walter Meckauer ab 1953 verantworteten Edition „Die Nachtigall im Tintenfass“ und auch in Horst Dreschers Ausgabe „Das Leben ist ein Gedicht“ (ab 1971) erschienen diese Parodien nun als vermeintlich originale Gedichte Friederike Kempners, die seither vor allem für jene Texte berühmt geworden ist, die sie nicht geschrieben hat. Daher fehlen diese Texte naturgemäß in der letzten von Friederike Kempner selbst veranstalteten Ausgabe des Jahres 1903. Mostar behauptete in seiner weit verbreiteten Ausgabe, diese zu Lebzeiten der Dichterin ungedruckten Gedichte habe man ihm als „vergilbte Blätter“ zugespielt; Friederike Kempner habe diese Texte im Gästebuch des Gasthofs „Goldene Gans“ hinterlassen. Auch die seither oft wiederholte Behauptung, Kempners Texte hätten nur deshalb so weite Verbreitung gefunden, weil ihre Verwandten versuchten, „alle erreichbaren Exemplare aufzukaufen“, um „das Gelächter, das über die Familie hereinbrach, einzudämmen“, rührt wohl von Mostar her; tatsächlich gibt es darauf keinerlei historische Hinweise. Vielmehr sprechen Erwähnungen Friederike Kempners in zeitgenössischen literaturgeschichtlichen Abhandlungen dafür, dass ihre Gedichte durchaus weite Verbreitung gefunden hatten. Belegt ist freilich die Tatsache, dass der Schriftsteller Alfred Kerr seinen Geburtsnamen Kempner deshalb änderte, „weil sie „die schlechtesten je auf diesem Planeten bekanntgewordenen Verse“ geschrieben habe. Verwandt war er mit ihr jedoch nicht. Der Lyriker Jakob van Hoddis hingegen war Friederike Kempners Großneffe.

Werke u.a.:
1850: Denkschrift über die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Einführung von Leichenhäusern
1850: Berenice (Drama)
1861: Novellen
1867: Rudolf der Zweite oder der Majestätsbrief (Drama)
1868: Nettelbeck, oder: Patriot und Kosmopolit. (Novelle)
1880: Antigonos (Drama)
1884: Das Büchlein von der Menschheit. Mit einem Anhange: Gegen die Einzelhaft oder das Zellengefängniß (Streitschrift)
1884: Das Recht auf Leben, nicht nur „Recht auf Arbeit“. Eine Betrachtung (Streitschrift)
1886: Jahel (Drama,)
1886: Der faule Fleck im Staate Dänemark oder: Eine lustige Heirath (Lustspiel)
1893: Roger Bacon (Novelle)
1893: Nettelbeck. Miß Maria Brown (Novellen)
1898: In der Goldenen Gans (Novellen)
1898: Eine Frage Friederich’s des Großen (Novelle)
1899: Ein Wort in harter Zeit (Streitschrift)
1903: Gedichte (8. Auflage,)
1989: Nick Barkow, Peter Hacks (Hrsg.) Dichterleben, Himmelsgabe (Sämtliche Gedichte)
2009: Frank Möbus (Hrsg.) „Kennst Du das Land, wo die Lianen blühn?“ Gedichte des schlesischen Schwans.