Alte Mordstelle

Werner Bergengruen

Aufnahme 2023

Nur der Wind umzäumt die Stelle,
alles Wachstum wuchert frei,
Federnelke, Küchenschelle,
Wiesenschaum und Akelei.

Hügel nicht noch Fruchtgefilde
Grenzen, gliedern das Gebreit,
und vom Himmel stürzt die wilde
Schwermut der Unendlichkeit.

Niemand weiß, wer hier begraben,
niemand weiß, wer ihn erschlug,
niemand, wer als Totengaben
Stein um Stein zusammentrug.

Wars ein Knabe? Wars ein Alter?
Eine bleiche Pilgerin?
Nur zwei knochenweiße Falter
Ziehn gelassen drüber hin.

Manchmal um die Mittagsstunde,
wenn die Luft vor Hitze bebt,
scheints, dass eine dunkle Kunde
unerfasst vorüberschwebt.

Wers auch sei, mit Summestimmen,
jährig, wenn der Sommer flammt,
halten ihm die wilden Immen
treu ein spätes Totenamt.

Jeden schauert es verstohlen,
den sein Gang des Weges führt,
so, als hätten seine Sohlen
jäh das eigne Grab berührt.