Anmerkungen zu einzelnen Sonetten

VI Sokrates vermittelte seine philosophischen ideen vor allem im Gespräch: Durch geschicktes Fragen fiihrte er sein Gegenüber selbst zur Erkenntnis («Was-ist-Frage»). Im Jahre 399 v. Chr. wurde er des Atheismus und der Verführung der Jugend für schuldig befunden und zum Tod durch Gift verurteilt. im Gefängnis lehrte er weiter durch das Gespräch, Möglichkeiten zur Flucht ließ er ungenutzt.

VIII Der «Rundgang der Gefangenen» von van Gogh, nach der Zeichnung von Gustave Doré.

IX Die Bewacher im Gefängnis der Gestapo in der Lehrter Straße waren junge, zwangsweise zur SS rekrutierte sogenannte Volksdeutsche, vorwiegend uns dem Banat und der Batschka.

XIII ln seiner Rede im Berliner Sportpalaat stellte Goebbels am 18.4.1943 die Frage: «Wollt ihr den totalen Krleg?» Sie wurde mit Jubel beantwortet.

XV «Der auferstanden ist» (lat.) Die Auferstehung Christl, rechter Flügel des geöffneten Zuıstands, 1. Wandlung, des lsenheimer Altars von Matthias Grünewald, Museum Unterlinden, Colmar.

XVI Om mani padme hum: «Gegrüßt seist du, Kleinod im Lotus!» – «Der große Buddha»: Buddhastatue von Kamakura, bei Yokohama, aus dem Jahre 1252.

XIX Der «Meister» ist Professor Karl Klingler (1879-1971), Geiger und Leiter des Klingler-Quartetts. Er komponierte u. a. eine Bühnenmusik zu dem Stück «Chinesische Legende» von Albrecht Hauhofer (beendet 1940, Uraufführung 1949).

XX Die «Meisterin der Kunst»: Die Münchner Pianistin und Klavierlehrerin Albrecht Haushofers, Gräfin Berta von Sztaray.

XXI ln der Beethoven-Oper plant Leonore, verkleidet als «Fidelio», die Befreiung ihres zu Unrecht gefangen gesetzten Mannes. In der beschriebenen Kerkerszene schützt sie Florestan mit der Pistole vor der Ermordung durch den Gouverneur Pizarro. «Der herrische Trompetenschall, die Fanfare bei der Ankunft des gerechten Ministers Fernando, setzt der Szene ein glückliches Ende.

XXII Von den genannten acht wurden sieben nach dem 20. luli hingerichtet: Peter Graf Yorck von Wartenburg; Helmuth James Graf von Moltke, Kreisau; Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg; Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld; Ulrich von Hassell, Johannes Popitz und Erwin Planck. Hans Helferich, der Präsident der Deutschen Zentral- genossenschaftskasse, sollte nach dem Umsturz Staatssekretär im Finanzministerium werden. Er starb nach dem Krieg in einem sowjetischen Lager.

XXIII «Die silbergrauen Wände»: Das Wettersteingebirge bei Partenkirchen.

XXIV Der Acheron ist in der griechischen Mythologie der Fluss, über den der Fährmann Charon die Verstorbenen setzt, um sie in die Unterwelt zu bringen. Der Wortlaut des gemeinten Zitats: «Flectere si nequeo superos acheronta movebo» (Vergil, Aeneis VII,312) - Wenn ich die Oberen (Götter) nicht beugen kann, werde ich die Unterwelt bewegen.

XXV Erinnerung an die Olympischen Spiele Berlin 1936.

XXVII Sir Robert Vansittart, Unterstaatssekretår im Foreign Office, gehörte zum engeren Kreis Churchills; er war einer der Hauptgegner der Außenpolitik Hitlers.

XXVIII Der Freund: Haushofers Lieblingsschüler Wolfgang Hoffmann-Zampis, gefallen 1942 vor Sewastopol.

XXIX Der Freund erscheint hier als Fährmann Charon (s. Anmerkung zu XXIV).

XXXI Das Wappen ist das der Großmutter Albrecht Haushofers, von Doss, das mit dem «rittermäßigen Reichsadel» am 22.6.1740 von Kaiser Karl VI. verliehen wurde.

XXXII Partnachalm, oberhalb der Partnachklamm am «Hohen Weg» von Partenkirchen in das Reintal. Dieser ist auch «der Saumweg» in XXXIII.

XXXV «Der Arzt» war Dr. Ense. der sich – selbst politischer Häftling – aufopfernd um die Kranken unter den Mitgefangenen bemühte.

XXXVII Heinz Haushofer war bereits im September 1944 in Sippenhaft genommen und in das Gefängnis an der Lehrter Straße gebracht worden. Am 22.4.1945 wurde er nach Hause entlassen.

XXXVIII Das «Märchen aus dem Morgenland» aus «TausendundeineNacht» heißt «Der Fischer und der Geist».

XLI Das Sonett lehnt sich an die Legende vom «Rattenfänger von Hameln» an: Ein Pfeifer befreit die rattengeplagte Stadt von den Nagern, entführt dann aber auch, um seinen Lohn betrogen. die durch sein Spiel gebannte Jugend.

XLIII Shi-Hwang-Ti, König von Tsin 246 v. Chr., 221 Kaiser von China, soll in seinem Reich 213 die Bücherverbrenung befohlen haben (was heute angezweifelt wird). Er starb im jahre 210. Die «zwölf Jahre» des Sonetts stimmen also mit den zwölf Jahren 1933-1945 überein.

XLIV Alexandrien wurde 642 durch die Araber unter dem Kalifen Amr (Omar) erobert.

XLV Die Antwort des Legaten bei der Eroberung von Béziers 1209 ist u. a. von Cäsarius von Heisterbach überliefert. Béziers liegt allerdings im Languedoc, nicht in der Provence.

L Nemesis ist in der griechischen Mythologie die Göttin der gerechten Vergeltung. «Er» ist Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofs, umgekommen am 3.2.1945 durch eine Fliegerbombe. Dadurch ergibt sich dic genaue Datierung für dieses Sonett: 3.2.1945 oder später.

LIII Teja, letzter König der Ostgote, fiel 552 in der Schlacht am Mons Lactarius, die in Felix Dahns «Kampf um Rom» dargestellt wurde. – Der «Todestrotz» des gefesselten Hagen vor Kriemhild im Nibelungenlied.

LIV «Der Hinkende»: NS~Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels. «Gcfreiter» war im Ersten Weltkrieg der militärische Rang Hitlers, später ein Spottname für ihn; Reichspråsident v. Hindenburg hat ihn «den böhmischen Gefreiten» genannt.

LV Während seines Studiums in Straßburg 1770-1771 verliebte sich Goethe in die Sesenheirner Pfarrerstochter Friederike Brion (1752-1813). lm Wehrmachtsbericht vom 19. Januar 1945 wird gemeldet. «Nordöstlich Straßburg wurden (...) die Orte Sesenheim und Herisheim im Sturm genommen» Damit ergibt sich für dieses Sonett die Datierung 19.1.1945 oder später.

LVII Das «Gespräch des Lebensmüden mit seiner Seele», einer der «verzweifeltsten Texte» der Weltliteratur, wird Amenemhat l.(ca. 2000-1970 v. Ch.) zugeschrieben.

LVIII Der Titel des Sonetts entspricht dem Titel des Werkes von Werner Jäger «Paideia. Die Formung des griechischen Menschen», das in drei Bänden 1934, 1944 und 1947 erschien. Der griechische Begriff (urspr. Kindererziehung) kommt insofern dem deutschen Begriff der Bildung gleich, als er den Prozess, die vermittelten lnhalte und auch das Ergebnis bezeichnen kann.

LX Kassandro, männliche Neubildung nach Kassandra, die den Untergang von Troja voraussagte und deren Schicksal es war, dass man ihr keinen Glauben schenkte. - Das «Amt» ist das Auswärtige Amt in Berlin, für das Albrecht Haushofer zeitweise arbeitete.

LXII Haushofer zitiert diese Legende auch in «Sulla» (V, 1, S. 184): ln der Gefahr kann zeitlicher Aufschub lebensrettend sein.

LXIII Kardinal Jean de la Balue wurde von 1469 bis 1480 im Schloss Loches von Ludwig Xl. wegen Hochverrats gefangen gehalten. Der überlieferte «Käfig» ist im wörtlichen Sinne nicht authentisch. Papst Sixtus lV. erwirkte die Freilassung des Kardinals und vermittelte ihm in Rom eine einflussreiche Stellung.

LXIV Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius, Kanzler am Hof Theoderichs, Verfechter einer römisch-gerrnanischen Synthese, wurde 524 n. Chr. wegen angeblichen Hochverrats hingerichtet. Der lateinische Titel des im Gefängnis gesclriebenen Buches: «De consolatione philosophiae». Der mit Gedichten durchsetzte Dialog zwischen einem zu Unrecht gefangen genommenen Philosophen und der Frau Philosophie führt den Gefangenen zur Einsicht, dass der Lauf der Welt einem sinnvollen höheren Plan entspricht. Boëthius unternimmt mit diesem Werk den Versuch, die Philosophie der antiken Welt vor dem Untergang zu bewahren.

LXV Thomas Morus, Staatskanzler, Gegner der Kirchenpolitik Heinrichs Vlll., Verfasser der «Utr›pia», wurde 1535 wegen angeblichen Hochverrats enthauptet (Porträt von Hans Holbein).

LXVI Aus dem 6. Buch des «Mahabharata», des großen indischen Epos (zwischen 4. ]h. vor und 4. Ih. nach Chr.): Gespräch auf dem Streitwagen zwischen dem Helden Arjuna und der lnkarnation Krischnas (Lehre des Karma Yoga).

LXVII Albrecht Haushofer hatte, in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, Fridtjof Nansen (Haushofer schreibt: Frithjof) (1861-1930) kennengelernt. Nansen, Polarforscher, Schöpfer des «Nansen-Passes» für politische Flüchtlinge, erhielt 1922 den Friedensnobelpreis.

LXIX Johannes Kepler (1571-1630) veröffentlichte die ersten der nach ihm benannten Kepler'schen Gesetze 1609 in seinem Hauptwerk «Astronomia nova».

LXX In einem der berühmten Vierzeiler (Rubaiyat), die dem persischen Dichter Omar-i-Kaijam (ca. 1050-1132) zugeschrieben werden, spricht der Ton zum Töpfer: «Einst war ich wie du, drum behandle mich sanft ...»

LXXI «Der größte Kaiser» Tai-Tsung regierte 627-650. Während einer langen Friedensperiode erlebte China eine kulturelle Blüte.

LXXII «Der Florentiner»: Dante. Die zitierte Episode in der Göttlichen Komödie (Hölle, V. Gesang) behandelt die Liebe zwischen Francesca da Rimini und ihrem Schwager Paolo Malatesta.

LXIII Die «früh Verblichne»: die hochbegabte sensible Schweizer Publizistin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach, Freundin von Klaus und Erika Mann, die 1942 im Alter von 34 Jahren nach langer Drogenabhängigkeit an den Folgen eines Unfalls starb. Haushofer lernte sie 1923 in der Schweiz kennen. « In [Berlin-Frohnau), wo Annemarie weiterhin gelegentlich zu Besuch ist, trifft sie Ulrich von Hassell und Albrecht Haushofer. (. . .) Haushofer ist sehr verliebt in Annemarie. Anfang der 30er-Jahre macht er ihr sogar einen Heiratsantrag. Annemarie lehnt ab, bleibt aber mit ihm befreundet.» (Arti Georgiadou, Annemarie Schwarzenbach; eine Biographie. Frankfurt a. M. 1996. In der dtv-Ausgabe S. 101.)

LXXIV Die Kami sind in der Vorstellung der Shinto-Religion die zu verehrenden Geister der Verstorbenen.

LXXV Miyajima, vielbesuchte Wallfahrts-(Tempel-)Insel südwestlich von Hiroshima.

LXXVII Jan Mayen, Insel zwischen Island und Spitzbergen, 1611 von dem Holländer Jan Mayen entdeckt, gehört zu Norwegen.